Eine Reise durch Vietnam – Teil 1
Sapa liegt im Nordwesten Vietnams und ist ein herrliches Fleckchen Erde. Die Natur ist traumhaft schön. Zahlreiche Berge im satten Grün und unendlich viele Reisterassen bilden eine beeindruckende Kulisse. Hier fühlte ich mich geborgen, hatte diese Landschaft bei mir doch schöne Erinnerungen an den Thüringer Wald geweckt.
Meine Unterkunft, ein Homestay, lag nur wenige Kilometer abseits von Sapa in einem kleinen Dörfchen namens Ta Van. An dieser Stelle möchte ich erklären, was ein Homestay ist und was es so besonders macht. Ein Homestay ist eine Möglichkeit gegen eine Gebühr mit einer einheimischen Familie zu leben. Für Backpacker wie mich sind diese Quartiere nicht nur eine günstige Alternative zum Hotel oder Hostel, sondern sie bieten mir auch die Gelegenheit, Land und Leute von einer anderen Seite kennenzulernen.
Da diese Herbergen meist eine Nummer kleiner sind als Hostels oder Hotels, kommt man mit den Eigentümern relativ einfach ins Gespräch. Manchmal laden sie einen sogar zum Essen ein. Das verbindet und nimmt einem das Gefühl des Fremdseins. Zudem helfen die Gastgeber ihren Gästen, sich im neuen Ort zu orientieren und weisen auf mögliche kulturelle Besonderheiten und touristische Highlights hin. Oft bieten sie auch an: Zug- oder Bustickets für die Weiterreise zu organisieren, ein Taxi zu rufen, Wäsche zu waschen oder sind beim Buchen vom Ausflügen behilflich.
Der direkte Kontakt mit den Leuten ist für mich genau das Richtige. Das Land und die Menschen bewusst zu erleben, ist mit das Schönste auf dieser Weltreise. Natürlich muss man neben einer Offenheit für die andere Lebensweise auch eine gewisse Anpassungsfähigkeit mitbringen. Schließlich wohnt man im „Zuhause“ von zunächst fremden Menschen. Doch das Gefühl des Fremdseins ist meist nach kurzer Zeit verflogen, oft schon nach einigen Minuten des Smalltalks.
Zurück nach Sapa. Surelee, so hieß die junge Frau, die ihr Zuhause mit mir und Menschen aus aller Welt teilte. Am ersten Abend veranstaltete sie ein Family-Dinner. Wer mochte, konnte diesem Essen in großer Runde beiwohnen. Hier wurden verschiedene Speisen serviert, die man sich mit anderen Gästen teilte. Spätestens bei der Frage „Kannst du mir bitte die Schüssel mit dem Reis reichen?“ kommt bei dieser Art des Abendessens ins Gespräch. Häufig aber schon früher. In diesen Momenten ist man nicht der Backpacker, der solo durch die Welt zieht, sonst Teil einer Gemeinschaft, die das Reisen liebt. Ohne das jemals statistisch erhoben oder direkt erfragt zu haben, glaube ich, dass uns eine gewisse Abenteuerlust, Neugier, Offenheit und Toleranz verbindet. Automatisch kam ich bei diesem Dinner mit anderen Reisenden, überwiegend junge Menschen, ins Gespräch.
Surelee hatte auch Tagesausflüge im Angebot, bei denen man für einige Stunden die unmittelbare Umgebung zu Fuß erkundete. Mit Pelle und Vera aus der Niederlande sowie José, Marta und Simon aus Spanien wanderte ich durch die an den Hängen gelegenen Reisfelder, die sich kilometerweit in alle Richtungen erstreckten. Sapa und die umliegenden Dörfer sind auch die Heimat von mehreren ethnischen Minderheiten, die sich immer noch in traditioneller Kleidung kleiden und in ihren eigenen Dialekten sprechen.
Auf Wanderung im Norden Vietnams in den Dörfern rund um Sapa.
Auf unserer Wanderung durch die Dörfer Lao Chai und Ta Van lernten wir durch Surelees Schwester Lisa, sie war unserer Englisch sprechender Guide, die Kultur der „Hmong“ kennen. Auf den Feldern arbeiten die Männer meist ohne Maschinen. Ist die Erntezeit vom Reis gekommen, in Sapa aufgrund des kühlen Wetters nur einmal im Jahr, holt man sich Hilfe aus der Nachbarschaft. Meist sind es 20 bis 40 Personen, die am Erntetag kommen und ohne Bezahlung der mühseligen Arbeit nachgehen. Generell leben die Völker dieser Bergregion in eher einfachen und ärmlichen Verhältnissen. Umso wichtiger ist die Entwicklung des Tourismus in diesem Gebiet. Einige Menschen, so wie Surelee, haben das schon lange erkannt. Sie entwickelten Ideen, wie man Touristen in diese Gegend locken kann. So kann man mittlerweile Häuser besichtigen, in denen traditionelles Handwerk dargeboten wird. Auffällig dabei sind die großen Gefäße mit Indigofarbe und die uralten Webstühle. Hier entstehen Produkte aus natürlichem Hanfstoff mit einzigartigen Designs – von Kleidung, Taschen, Kissen, Decken bis hin zu Wandbehängen. Die Frauen, die uns auf der Wanderung begegneten, hatten oft einen langen Faden in der Hand.
Es sind Fasern der Cannabispflanze, die sie mit der Hand zusammen arbeiten. Anschließend bearbeiten sie ihn auf einer Spindel, um davon Textilien für ihre Kleider machen zu können. Da die älteren Generationen kaum oder gar keine Schulbildung genossen, ist es nicht verwunderlich, dass die ethnischen Minderheiten, obwohl sie in einem Dorf wohnen, nicht miteinander kommunizieren können. Durch die unterschiedlichen Dialekte verstehen sie einander nicht. Die vietnamesische Sprache wurde erst später als Unterrichtsfach und Pflichtsprache etabliert. Deshalb sind es die jungen Generationen, die in den letzten Jahren das Miteinander erst so richtig entwickelten. Es war ein interessantes Erlebnis zwischen den Hmong-Dörfern zu spazieren, zu sehen wie die Leute leben, ihre Trachten tragen, arbeiten, Kinder in der Schule mit viel Freude lernen oder auf den schmalen Pfaden Fangen spielen.
Süß, wie der kleine Bruder seine große Schwester umklammert. Ein Geschwisterpaar in Ta Van lief ganz unbekümmert vor mir her.
Es ist ein einfaches Leben, welches die Menschen hier im Norden Vietnams führen. Gewiss herrscht im Vergleich zu den meisten Kindern in hochentwickelten Regionen Europas ein Mangel an diversen Alltagsgegenständen (Kleidung, Technik etc.), doch deshalb schienen mir die vietnamesischen Kinder nicht unglücklicher. Als ich eine kleine Grundschule in Ta Van besuchte und die Kinder im Unterricht beobachtete, strahlten ihre Augen, als sie das von der Lehrerin Gesagte im Chor wiederholten. Zwischendurch winkten sie mir immer wieder enthusiastisch zu. Natürlich erlebte ich auch das Gegenteil des eben Beschriebenen. Kinder, die mit zerfetzten und dreckigen Kleidungsstücken darum bettelten, dass man ihnen ein kleines buntes Armband abkaufe. Man kann kaum widerstehen, wenn die Jungen und Mädchen mit ihren großen dunklen Augen zu einem aufblicken. Doch diese oft charmanten und lieb gemeinten Angebote auszuschlagen, das hatte ich auf meiner Reise durch die verschiedenen Länder zu lernen. Würde ich stets „ja“ zu Souvenirs oder anderen Dingen sagen, würde der sowieso schon gut gefüllte und etwa 20 Kilo schwere Rucksack irgendwann nicht mehr ausreichen beziehungsweise zu schwer werden.
Als ich an meinem Geburtstag in Vietnam einreiste, hatte ich bereits einen Wunsch, den ich mir natürlich nur selbst erfüllen konnte. Mein Wunsch war es, auf dem höchsten Berg Vietnams zu stehen, dem Fansipan. Mit 3143 Metern wird er zugleich als das Dach Indochinas bezeichnet. Der Begriff Indochina (hinter China) ist eine französische Wortschöpfung für die Region, in der die heutigen südostasiatischen Staaten Vietnam, Kambodscha und Laos liegen.
Dieses atemberaubende Bergmassiv befindet sich im Norden Vietnams, nahe der Grenze zu China. Den Fansipan kann man entweder an einem oder innerhalb von zwei Tagen besteigen. Ich entschied mich für ein zweitägiges Abenteuer auf diesem Berg, dessen Besteigung auf den ersten Blick nicht sonderlich schwierig erscheint.
Ausgangspunkt des Trekkingabenteuers ist die Kleinstadt Sapa auf ungefähr 1600 Metern Höhe im Hoàng Liên Sơn-Gebirge. Noch vor sechs Jahren zog der Berg nur wenige Trekker an. Doch nachdem im Februar 2016 eine Seilbahn eingeweiht wurde, stieg die Zahl der Touristen, die die atemberaubende Aussicht vom Gipfel aus genießen wollten. Während meines Aufenthaltes am Berg war die Seilbahn aufgrund von Wartungsarbeiten geschlossen. Demzufolge war die Zahl der Menschen, die ich hier antraf, gering. Das hatte was. Es waren lediglich ein paar Gleichgesinnte, die den Fansipan zu Fuß erklimmen wollten. Da der Berg im Hoang-Lien-Nationalpark liegt und man hier viel Wert auf Naturschutz legt, ist die Besteigung nur mit einem Guide möglich. Meiner hieß Duong, war ein paar Jährchen jünger, mochte den Fußball und das Wandern ebenso wie ich. Zudem versorgte er mich mit brauchbaren Informationen über die Gebräuche, das Leben in Vietnam und die zahlreichen Pflanzen am Wegesrand.
Mit dem Roller fuhren wir zunächst bis zum Eingang des Nationalparks (1900m). Hier folgten wir einem Pfad, der sich durch den Regen- und Bambuswald zum ersten Lager schlängelte. Auf 2200 Metern angekommen, gab es es zum Mittagessen eine Portion Reis. Hier traf ich auf andere Wanderer, die dasselbe Ziel verfolgten. Beispielsweise Simon und Juliet aus dem französisch sprechenden Teil Kanadas. In den kommenden Stunden sollten wir uns gelegentlich begegnen und dabei über verschiedene Themen sprechen. Auf sehr steilen aber wunderschönen schmalen Bergpfaden, von denen sich immer wieder Ausblicke auf die herrlich grüne Landschaft des Berglands von Sapa boten, erreichten wir am frühen Nachmittag das Basislager auf 2800 Metern. Hier wurde übernachtet. Da ich bis zum Einbruch der Dunkelheit noch Zeit hatte und das Wetter sich mit Sonnenschein und blauem Himmel von der besten Seite zeigte, entschied ich mich, das letzte Stück dieser Route auch noch zu absolvieren, um bereits am ersten Tag auf dem Gipfel zu stehen. Von den zirka 20 Gleichgesinnten hatten lediglich Simon und Juliet dieselbe Idee. Etwa eineinhalb Stunden später stand ich bei klarer Sicht auf dem 3143 Meter hohen Gipfel des Fansipan. Es war ein großartiges Gefühl auf dem Dach Indochinas zu stehen. Oben angekommen, weitete sich der Blick auf die Bergregionen Vietnams und Nord-Laos. Ein Meer aus Wolken umgab den Gipfel, die wärmende Sonne und der blaue Himmel sorgten für eine tolle Atmosphäre. Dieser paradiesische Moment entschädigte für die kleinen Strapazen während des Aufstiegs.
Duong überreichte mir schließlich eine Urkunde und Erinnerungsmedaille, die nur jene Personen erhalten, die sich zu Fuß auf den Weg zum Gipfel machen. Kurze Zeit später stieg ich ins Basislager ab. Hierzu vielleicht noch ein paar Worte. Warmes Wasser, komfortable Duschen, europäische Toiletten, Elektrizität, weiche Betten – Fehlanzeige. Im Aufenthaltsraum wurde über offenem Feuer gekocht, sodass dichter Rauch den Raum füllte. Stirnlampen oder Handylichter sorgten für die nötige aber dürftige Beleuchtung. Da die Temperaturen im einstelligen Bereich lagen, kamen auch endlich mal die Klamotten zum Einsatz, die sonst weitestgehend unbeachtet ganz unten in meinem Rucksack lagerten. Es war kurz nach 20 Uhr am Abend als die meisten Bergsteiger sich in ihren Schlafsack legten und versuchten die Augen zu schließen. Neben einem gebrauchten dünnen Schlafsack stand mir eine noch dünnere Isomatte zur Verfügung, aufgelegt auf einem harten Holzboden.
Dementsprechend schwierig gestaltete sich das Finden einer angenehmen Schlafposition. In den kommenden Stunden tat ich kaum ein Auge zu, ein weicher Waldboden wäre gewiss bequemer gewesen. Es war 3 Uhr morgens als bei den Meisten die Wecker klingelten. Sie nahmen noch ein Frühstück zu sich, bevor sie sich gegen 4 Uhr auf den etwa 90 bis 120-minütigen Weg zum Gipfel machten. Ziel war es, den Sonnenaufgang auf dem Fansipan zu erleben. Da ich die Strecke bereits kannte, mein Guide schon tags zuvor seinen Job erfüllte, machte ich mich um 4.30 Uhr allein auf den Weg. Im Gepäck hatte ich eine wärmende Strickjacke, eine kleine Flasche Wasser, einen leckeren Apfel und meinen Fußball von „Spirit of Football“. Der schmale Pfad führte durch den Bambuswald, teilweise auch über steile Erdflanken, die mit rutschigen Leitern versehen waren. Während meines Aufstieges überholte ich alle meine Weggefährten, die mich immer wieder mit Erstaunen fragten, ob ich denn nicht schon genug von gestern gehabt hätte. Sie resümierten, dass ich schon etwas verrückt sei. Es war 5.35 Uhr als ich bei eisigem Wind und Temperaturen um den Gefrierpunkt auf dem Gipfel stand. Die Morgensonne bahnte sich so langsam ihren Weg aus der Wolkendecke. Das beeindruckende Farbspiel am Horizont konnte ich für einige Minuten ganz persönlich erleben, war ich doch zunächst allein auf 3143 Metern. Nach etwa 40 Minuten des Staunens und Genießens stieg ich ab. Duong hatte im Basislager Frühstück zubereitet. Der weitere Abstieg gestaltete sich aufgrund des feuchten Bodens nicht immer einfach, teilweise war es sehr rutschig und es bedurfte auch beider Arme, um diverse Stellen sicher zu passieren. Dieses abenteuerliche und beeindruckende Bergerlebnis im herrlichen Norden Vietnams endete an der Stelle, an der es 25 Stunden zuvor begonnen hatte. Im Gepäck hatte ich neben zwei Gipfelbesteigungen auch jede Menge traumhafte Eindrücke.
P.S.: Eine kleine Anmerkung zu den Galerien: Um die Bilder im vollen Format zu sehen, einfach länger draufbleiben oder anklicken – je nach Endgerät 😉