…erst zu Fuß, dann per Bus…
Umgeben von den eindrucksvollen Bergen des Balkangebirges, dem Zwitschern der Vögel, dem Plätschern der Enten und anderer Wasservögel sitze ich gerade am Lake Plav. Die Sonne wärmt mir den Rücken, der Wind sorgt für eine wohltuende Kühlung und das Wasser des großen Gletschersees entfaltet seine beruhigende Wirkung. Zum Schreiben meiner nächsten Erlebnisse scheint es gerade keinen besseren Ort zu geben. Plav ist, sofern ihr meine ersten Berichte aufmerksam gelesen habt, der Ausgangsort meiner Wanderreise im gastfreundlichen Montenegro. Letzte Woche Mittwoch startete ich von hier aus ins Gebirge, um den besagten Rundwanderweg „Peaks of the Balkans“ zu absolvieren.
Noch eine Info vorweg, sie dient dem besseren Leseverständnis: ich setzte heute und künftig am vorhergehenden Blogeintrag fort, sofern jener etwas mit dem aktuellen zu tun hat. In diesem Fall hat er es. Solltet ihr also den dritten Bericht noch nicht gelesen haben, wäre es ratsam dies jetzt zu tun.
Am Samstag, den 6. August, verabschiedete ich mich am Morgen von den herzlich und nur albanisch sprechenden Gastgebern in Teth. Der ältere Mann und dessen 80-jährige Mutter hatten mir die letzten beiden Nächte ein Bett in ihrem traumhaft gelegenen Gasthaus zur Verfügung gestellt.
Ihre Gastfreundschaft war einfach und beeindruckend zugleich. Ich erzählte bereits von meinen Problemen im Bereich der Schulter, hervorgerufen durch das Tragen des viel zu schweren Rucksacks. Als ich die alte Dame mit Gestik und Mimik nach einer Salbe fragte, dauerte es nicht lange und sie brachte zwei kleine Raki. Diesen kannte ich vom Vorabend, hatten doch andere Gäste das am meisten konsumierte alkoholische Getränk in Albanien bereits mit einer herrlich verzogenen Mine getrunken. Dieser hochprozentige Schnaps, der meist aus Pflaumen oder Beeren hergestellt wird, sollte mir nun als Schmerzlinderung dienen. Scheinbar ein Allheilmittel. Für mich brachte dieser Obstbrand keine Verbesserung, doch immerhin auch keine Verschlechterung.
Ich machte mich auf den Weg nach Valbone. Eine weitere Tagestour von etwa sieben Stunden Dauer und zirka 18 Kilometern Länge. Es ging 1220m auf und 1040m ab. Natürlich zeigte meine GPS-Uhr mit zirka 28 wieder einmal deutlich mehr Kilometer an. Die ersten 90 Minuten ging ich, in Anbetracht meiner lädierten großen Zehen und seltsame Blicke erntend, mit Flip-Flops bergauf. Auf einer Anhöhe traf ich ein Pärchen aus der Niederlande, bereits zum dritten Mal in den vergangenen drei Tagen. Bei einer Wassertränke in der Nähe eines alten aber bewohnten Hirtenhauses füllten sie dankenswerterweise mittels eines Filters meinen Wasservorrat auf. Überhaupt möchte ich auf die Notwendigkeit des Trinkens, besonders bei diesen extremen Bedingungen bezüglich Temperatur und Route, hinweisen. Täglich sind es mindestens drei bis vier Liter, die ich zu mir nehme.
Zurück zur Tagestour. Nachdem ich die Flip-Flops durch Wanderschuhe ersetzte, ging es noch eine ganze Weile den Berg hinauf. Vorbei an kleinen Aussichtspunkten, die einen traumhaften Blick ins Tether Tal und auf die erhabenen Berge gewährten, an abgelegenen kleinen Hütten, die zur Stärkung dienten, und an vielen Menschen, die sich ebenfalls auf dem Weg nach Valbone oder umgekehrt nach Teth befanden. Es ist nicht nur scheinbar der menschenreichste Abschnitt dieses 192km langen Wanderweges. Unterwegs sieht man Pferde und Maultiere, die vollbeladen mit diversen Gepäckstücken der Touristen, angetrieben von einem Mann, sich über die schmalen, staubigen und steinigen Pfade des Gebirges quälen. Möge jeder für sich selbst entscheiden, was er davon hält. Betrachtet man sich aber wie ich das eine oder andere Tier aus der Nähe, mit mehr oder weniger deutlichen Blessuren, so hegt man kleine Zweifel am Tierwohl. Ungeachtet dessen ist mir die Nutzung der Tiere in diesen Höhen bewusst. Eine traditionelle und seit Jahrhunderten existierende Notwendigkeit.
Zurück zum Aufstieg, den die schweißtreibende Sommersonne erschwerte. Froh über jeden Schatten spendenden Baum genoß ich den teilweise spektakulären Ausblick auf die mich umgebenden Berge.
Nun zum weniger angenehmen Teil dieser Etappe – dem Bergablaufen. Warum dieses Runter für mich so negativ behaftet ist, beschrieb ich bereits ausführlich. Glaubt mir, ich habe alles getan, um mir das Wandern zu erleichtern. Die Schuhe stets so geschnürt, wie erforderlich. Den Rucksack so getragen, wie empfohlen. Die Pausen so gewählt, um mich nicht zu überfordern. Außerdem hatte ich unnötiges Gewicht einige Tage zuvor schon in Plav gelassen, damit ich leichter und einfacher die ausgewiesenen Wege beschreiten kann. Nichts davon hatte geholfen. Mein Gepäck war noch immer viel zu schwer. Der Pfad hinunter nach Valbone sollte also für mich eine kleine aber feine Qual darstellen. Die bereits erwähnten gesundheitlichen Schwierigkeiten nahmen nicht ab. Im Gegenteil. Ich war es zwischenzeitlich leid, bergab zu laufen. Wünschte mir eher Auf- als Abstiege herbei. Vom Schmerz gezeichnet, kam ich am späten Nachmittag im Dorf Valbone an. Mein Zelt auf einem Grundstück eines Gasthauses aufgeschlagen, glich die anschließende Dusche und Pflege meiner Blessuren einem wahren Verwöhnprogramm.
So entschied ich, die Wandertour auf dem „peak“ abzubrechen. Zwar schienen laut Reiseführer die folgenden Etappen nach Cerem, Doberdol und Milishevc nicht mehr so anspruchsvoll, besonders im Bergabgehen, doch die großen Zehennägel verlierend (nur eine Frage der Zeit) wäre das gewiss kein Vergnügen gewesen. Und das soll es ja eigentlich sein – ein Vergnügen. Den Abend verbrachte ich damit, die Fahrmöglichkeiten in Richtung Kosovo zu checken. Ebenso führte ich interessante Gespräche mit einer in Den Haag lebenden Familie und zwei holländischen Studentinnen, die ebenfalls die albanischen Alpen zu Fuß erkundeten.
Am Sonntagmorgen brachte mich ein Kleinbus für 5 Euro ins 25 Kilometer entfernte Bajram Curri. Die Kleinstadt diente mir lediglich als Umstieg. Für weitere 10 Euro setzte mich ein Bus in Gjakova ab, einer Stadt im Südwesten des Kosovo. Dort angekommen, suchte ich nach einer Unterkunft für die Nacht. Nachdem mich ein fremder aber sehr zuvorkommender Mann mit seinem Auto vergeblich versuchte zu meiner Wunschadresse zu kutschieren, dankte ich ihm und ging zu Fuß weiter. In einer verlassenen Seitenstraße fündig geworden, gewährte mir ein nettes älteres Ehepaar für 11 Euro einen Schlafplatz. In den darauffolgenden Stunden erkundete ich die pulsierende Stadt mit ihrem großen Basar, welcher sich über einen Kilometer erstreckt und zirka 500 entzückende kleine Läden beherbergt. Beispielsweise bieten Kunsthandwerker ihre Holzarbeiten oder Näherinnen ihre wunderschönen traditionellen Hochzeitskostüme feil.
Beim Abendessen in einem lokale Speisen bietenden Restaurant, lernte ich ein paar Fußballfans kennen. Sie trugen ein Trikot von Manchester United, was mich neugierig machte und ich sie daraufhin ansprach. Schon nach ein paar Worten baten sie mich, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Einer von ihnen lebt in Österreich und erklärte mir, dass sie den ersten offiziellen Fanclub des besagten Vereins gründeten, den es im Kosovo, in Montenegro, Albanien und Nordmazedonien gibt. Sie feierten die Eintragung ins Fanclubregister. Über den Fußball in Deutschland und unseren Alltag quatschend, wurde es ein amüsanter und kurzweiliger Abend. Natürlich ließ ich die Männer auf meinem Ball unterschreiben – immer erklärend, was es mit diesem auf sich hat. Wieder einmal wurde mir deutlich, dass meine Lieblingssportart eine außergewöhnliche Wirkungskraft hat.
Am Montagvormittag kam ich nach einer kurzen Busfahrt in Peja an. Die Stadt im Westen ist Startpunkt für Ausflüge in das spektakuläre Rugova-Tal und ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Nach dreieinhalbstündiger Wartezeit fuhr mich ein alter aus Deutschland stammender Kleinbus zurück nach Plav. Aus der planmäßigen zweieinhalbstündigen Fahrt wurden dreieinhalb. Der Bus glich, sich den Weg ins Hochgebirge bahnend, einer alten Lokomotive, die bei sommerlichen Temperaturen aus dem letzten Loch pfiff. Ich möchte behaupten, dass ich phasenweise mit einem Fahrrad schneller unterwegs gewesen wäre. Zwei Grenzkontrollen überstanden, einmal mit und einmal ohne auszusteigen, war ich 17 Uhr in Plav, wo mein erstes Wanderabenteuer begann. Ich war müde und geschafft, doch im Gepäck hatte ich viele tolle Begegnungen und wunderbare Eindrücke.
In den letzten Tagen dachte ich hin und wieder an meinen Weggefährten der ersten Stunde. Stanislas aus Marseille. Wie erging es ihm wohl auf seiner Weiterreise? Hatte er alle Etappen absolviert? Wo steckt er gerade? Als ich zu später Stunde am Kiosk um die Ecke noch zwei Getränke kaufte, da stand er auf der gegenüberliegenden Seite. Wir erblickten uns im selben Moment. Die Freude war uns angesichts dieser Überraschung ins Gesicht geschrieben und wir umarmten uns herzlich. Dieses nicht geplante Wiedersehen – war es Zufall oder Schicksal? Da er noch keine Bleibe für die mittlerweile angebrochene Nacht gefunden hatte, nahm ich ihn mit zu der Pension, in welcher ich für 10 Euro in einem einfachen Zimmer mit zwei Einzelbetten schlief. Noch bis Mitternacht sprachen wir über unsere Erlebnisse. Der Franzose musste aufgrund einer Knöchelverletzung sein Vorhaben, den „Peak of the Balkans“ gänzlich zu absolvieren, ebenfalls abbrechen. Heute Morgen machte er sich kurz vor 6 Uhr mit dem Bus auf den Weg ins benachbarte Kosovo. Für mich geht es morgen nach Podgorica, wo ich am 1. August mit dem Flugzeug landete. Anschließend werde ich mit dem Bus durch Kroatien tingeln. Was ich dort tun beziehungsweise wen ich dort treffen werde, das lest ihr spätestens im nächsten Beitrag.
Dieser Beitrag hat 5 Kommentare
Hey Henry,
Es ist warnsinnig schön deine „Geschichte“ und somit deine Erlebnisse zu lesen und mitzuverfolgen. Für mich: wie ein Buch und man ist Tag für Tag gespannt, ob endlich wieder ein Beitrag von dir verfasst wird! In dem Falle wie ein neues Kapitel!
Eigentlich hasse ich Bücher oder ähnliches zu lesen, jedoch ist es spannend und man kann sich so wunderbar in deine Erlebnisse, Begegnungen, Schmerzen und auch Freude hineinversetzen!
Ich freue mich bald wieder von dir zu lesen und das neue Kapitel zu durchstöbern 😌
Ich wünsche dir -> weniger Schmerzen und eine gute Besserung 🍀 viel Kraft und Freude für das neue Land
Höre auf deinen Körper und er wird dir den richtigen Weg zeigen 👍🏻
Fühle dich gedrückt 🥰
Deine Jenny aus der Nähe von Berlin 🤣🥰👍🏻
Hey Brudi!
Echt schöne Bilder und Erlebnisse bisher auf deiner Tour, bis auf die Blessuren.
Du kannst ihn ja irgendwann immer noch mal fertig wandern, wenn du wieder fit bist und nur einen kleinen Rucksack dabei hast. Der Fussball wird dich zu 100 Prozent noch in vielen anderen Ländern mit vielen Menschen zusammenführen. Erhole dich in Kroatien gut und chill mal ein paar Tage am Meer. Ich soll dich auch grüßen von allen die heute beim Training waren. 😉 Mario macht deine Nachfolge sehr gut, aber dein alkoholfreies Bier trinkt keiner so wirklich. Andi und ich haben beschlossen,dass wir dir es schicken wollen, bevor es verfällt und sinnlos Geld verschwendet wurde😂. Viel Spaß im nächsten Land und danke für den Eintrag.
Ich bin beeindruckt von deinen Erlebnissen . Es ist wunderschön deine Einträge zu lesen,es fast als wandert man mit Dir gemeinsam … 😀
Ich freue mich auf viele weitere spannende Einträge und Bilder . Hör auf Deinen Körper und gönn dir Pausen . Sonst fallen Dir nicht nur die Fußnägel ab 🤣
Liebe Grüße auch von Michel …
Bis bald
Es ist beruhigend zu wissen, dass du dich nicht mehr durch die Berge quälst und sehr schön zu sehen, dass dich jeden Tag das erfüllt was du gesucht hast und erwartet hast, herrliche neue Landschaften zu erkunden , neue Orte zu sehen und viele neue Menschen kennen zu lernen. Da kriege ich richtig Fernweh.
Wir grüssen dich ganz lieb und umarmen dich.
Mutti und Vati
Ich wünschte,ich wäre 20 Jahre jünger. Ich wäre da garantiert an deiner Seite, zumindestens im Balkangebirge.
LG Horst