Am vergangenen Wochenende unterstützte ich ein Hilfsprojekt meines tansanischen Freundes Emmanuel. Mit seinem „Kilimanjaro Aid Project“ kümmert er sich in der Region Poliward, jene liegt zwischen Arusha und Moshi, um ältere Menschen, die keine Familie haben oder deren Familie zu arm ist, um sich um sie zu kümmern. Unter den Bedürftigen befinden sich Alte, Junge, Verheirate, Alleinstehende, Kranke, Verwitwete und Familien. Die Menschen leben hier meist in ärmlichen Lehm- oder Steinhäusern ohne Toilette, Wasser und Stromanschluss. Sollten Toiletten vorhanden sein, sind mehr als die Hälfte entweder schrecklich heruntergekommen oder ungenügend. Gibt es keine Toiletten, verrichten die Menschen ihre Notdurft irgendwo im Busch oder bei Wasserstellen.
Als Emmanuel und sein Freund Francis diese Privatinitiative im Juni 2020 gründeten, versorgten sie zunächst zwei Familien. Später waren es sechs. Mithilfe der chinesischen Hilfsorganisation „Peaceland Foundation“ wurden jetzt erstmals 50 Familien mit den notwendigsten Nahrungsmitteln versorgt. Auch künftig dürfen sich die Familien einmal im Monat über Hirsemehl, Speiseöl, Mehl, Zucker, Salz, Reis, Maismehl, Bohnen und Tee freuen. Das Hilfspaket hat einen Wert von etwa 22 Euro. Ziel des langfristig angelegten Projekts ist es, die aktuell dramatische Situation der Menschen zu verbessern.
Denn obwohl es weltweit theoretisch genug Lebensmittel gibt, wächst die Zahl der Hungernden. Das klingt im ersten Moment gewiss paradox, ist aber leider die traurige Wahrheit. 828 Millionen Menschen hatten laut dem Welthunger-Index der Welthungerhilfe für das Jahr 2021 nicht genügend zu essen. 2022 war die Situation ähnlich und sofern grundlegende Veränderungen ausbleiben, wird sich die Situation aufgrund der vielen globalen Krisen noch weiter verschlechtern.
Auch wenn die Gabe von Nahrungsmitteln absolut notwendig und unerlässlich ist, ist sie für das „Kilimanjaro Aid Project“ nur ein Teil des großen Ganzen.
Kindern den Zugang zu Bildung ermöglichen, steht ebenfalls auf der Agenda dieser Initiative. Hierzu ist die Zahlung der Schulgebühren (beispielsweise für Schuluniform, Bücher und Verpflegung) notwendig. Ideen für die künftige Arbeit der noch kleinen und ehrenamtlich tätigen Gruppe, in den kommenden Wochen erfolgt die offizielle Registrierung als tansanische Hilfsorganisation, gibt es viele. So sind zum Beispiel der Zugang zu sauberem Trinkwasser, der Bau eines kleinen Gesundheitszentrums und die Verbesserung der sanitären und hygienischen Situation geplant. Im Zuge dessen ist viel Aufklärungsarbeit beziehungsweise Wissensvermittlung zu den jeweiligen Themen von Nöten. Ziel ist es, den Menschen ein gesundes und menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Kinder und Jugendliche sollen bessere Zukunftschancen haben.
Fragt man Emmanuel nach dem Grund seines Engagements sagt er: „Eigentlich geht es darum, das Leben von alten Menschen und Kindern, die sich nicht selbst helfen können, zu verbessern und sie in ihrem täglichen Leben zu unterstützen, indem man ihnen Dinge zur Verfügung stellt, die sie wirklich brauchen: Gesundheit, Nahrung, Kleidung und Unterkunft. Wichtig ist auch, Kindern einen Zugang zu einer hochwertigen Ausbildung zu ermöglichen.
Unser Einsatz am vergangenen Wochenende dauerte drei Tage. Er begann am Freitag mit den Einkauf und dem Verpacken der Lebensmittel. Verteilt wurden jene am Samstag und Sonntag. Hierfür besuchten wir die Menschen, die nicht selten sehr weit abgelegen wohnen. So führte unser Weg durch die grünen und mit zahlreichen Bananenstauden versehenen Hänge, über schmale und rutschige Pfade. Regen machte die Wege sowohl für uns als auch für unsere Transportfahrzeuge teilweise unpassierbar. Jeden Tag verbrachten wir viel Zeit damit, eines der Fahrzeuge aus dem tiefen Matsch zu befreien. Die warmen Temperaturen, die hohe Luftfeuchtigkeit und das immense Gewicht der Hilfspakte sorgten für zahlreiche Schweißperlen auf der Stirn. Lohn für diese schweißtreibende Arbeit waren letztlich die strahlenden Gesichter und die tiefe Dankbarkeit der Menschen, die aufgrund jener Lebensmittel und des langfristig angelegten Projekts vorerst keinen Hunger mehr leiden müssen.
Während dieser Hilfsaktion traf ich natürlich viele Menschen, die mir dankbar ihre Hand reichten oder mich umarmten. Jeder dieser Menschen hat seine Geschichte. Sie alle zu hören, war mir nicht möglich, da wir die Verteilung der Pakete in Gruppen absolvierten. Doch eines kann ich mit Gewissheit sagen: jede dieser Geschichten geht zu Herzen. Sie bewegten mich und sorgten für die eine oder andere schlaflose Nacht im Nachhinein. Stellvertretend für all diese armen aber wunderbaren Menschen, möchte ich an dieser Stelle die Geschichte von Elialilia erzählen.
Elialilia Thomas wurde 1944 geboren. Sie lebt in Poli, einem kleinen Dorf in der Nähe von Arusha. Der fast 80-Jährigen fällt das Laufen aufgrund einer kleinen Gehbehinderung schwer. Elialilia führt ein sehr einfaches Leben. Eines, falls man das überhaupt sagen, geschweige denn vergleichen kann, was man in Deutschland als unterhalb der Armutsgrenze bezeichnen würde. Sie kümmert sich um ihre beiden Enkelkinder. Die Mutter jener gab den Jungen und das Mädchen zur Oma und war seither nicht mehr gesehen. Materiell kann Elialilia ihren beiden Enkeln nicht viel bieten, hat sie doch selbst kaum etwas – weder Geld, noch ausreichend Essen oder ein warmes Zuhause. Ihre höchstens 4×4 Meter „große“ Hütte bietet Platz für ein altes Holzbett mit einer dreckigen und durchgelegenen Matratze. Hier schläft die alte Dame mit ihren beiden Enkelkindern. Im Raum findet man einen kleinen Schrank für Töpfe, Pfannen und Geschirr. Nichts Hochwertiges. Im Gegenteil. Ein paar Schüsseln und Eimer aus Plastik kann man auch noch erblicken. Decken und Kleidung liegen auf dem Bett oder hängen an irgendwelchen Vorrichtungen. Das Zimmer hat ein Fenster mit einem Holzverschlag. Etwas Licht fällt durch ein Loch in einer der Steinwände. Auf einem großen Holzbalken und einigen dünnen Sparren liegt Wellblech, eine einfache aber für Tansania typische Dachkonstruktion.
Vor der Hütte dient eine kleine Holzbank als Sitzgelegenheit. Gekocht wird im Backsteinhäuschen nebenan. Etwa 2×2 Meter groß. Eine Tür gibt es nicht. Ein kleiner Kessel steht auf der Feuerstelle. Der Rauch zieht nur allmählich durch eine Öffnung am oberen Ende der schmalen Seitenwand ab. Ein Großteil der Steine sind bereits schwarz, ebenso dass Wellblechdach. Hinter der Schlafhütte, man vermag es nicht als Wohnhaus bezeichnen, steht eine kleine zweiteilige Steinkonstruktion – Toilette und Dusche. Eine Tür gibt es nicht. Lediglich marode und ausgefranste Plastikplanen dient als Sichtschutz.
Fließendes Wasser und Elektrizität – Fehlanzeige. Um Wasser zu holen, müssen Elialilia und ihre beiden Enkelkinder zum nächstgelegenen Flüsschen oder zu einer nahegelegenen Quelle laufen und ihre Eimer füllen. Essen tut sie das, was ihr Nachbarn, Bekannte und die Natur zur Verfügung stellen. Nicht selten gibt es Bananen, denn diese wachsen rund um die Region Poliward prächtig, weshalb sie vom Speiseplan der fast 80-Jährigen nicht wegzudenken sind. Diese bereitet sie in vielen verschiedenen Varianten zu: geröstet, frittiert, angebraten, als Suppe oder Brei. Oft essen die Drei auch Ugali. Hier handelt es sich um einen gekochten Maisbrei, der fast mit jedem Essen serviert werden kann.
Elialilia verlässt ihr Grundstück eigentlich nie, da ihr das Laufen mittlerweile zu schwer fällt. Deshalb bittet sie die Nachbarn, ihre Bananen auf dem Markt zu verkaufen, um wenigstens ein paar Schilling zu erhalten. Ihre Enkelkinder gehen zur Schule, was unter diesen ärmlichen Verhältnissen nicht selbstverständlich ist. Obwohl die Schulgebühren für die staatlichen Schulen in Tansania 2016 abgeschafft wurden, gibt es Gebühren. Beispielsweise für Schuluniform, Bücher und Verpflegung. Diese kann Elialilia oft nicht bezahlen und ist auf die finanzielle Unterstützung anderer angewiesen ist. Sie gab an, dass ihr größter Wunsch eine gute Bildung für ihre Enkel sei. Jene Bildung soll ihnen ein „besseres Leben und eine gute Zukunft“ ermöglichen. Fragt man den 10-Jährigen Emiliano nach einem seiner größten Wünsche, meint er: „ich möchte irgendwann ein schönes Haus haben“. Als er das sagt, schaut er seiner Oma in die Augen. In diesem Moment sieht man, was Elialilia ihren Enkeln noch zu bieten. Es ist Liebe und Aufopferung.
Weitere Bildimpressionen:
P.S. Sollte jemand mehr Informationen zur „Hungerproblematik“ benötigen, dem empfehle ich folgenden Artikel:
https://www.tagesschau.de/wissen/gesundheit/welternaehrung-hunger-afrika-101.html
https://www.welthungerhilfe.de/hunger/welthunger-index