Ein Hauch von Orient in Europa

Der erste Monat meiner Weltreise neigt sich dem Ende entgegen. Vier Wochen bin ich bereits unterwegs. Zuletzt war ich das 2004 in Südafrika. Heute, am 30.August verlasse ich den Kontinent Europa und reise nach Asien. Hier wird Indien die erste Station sein. Doch bevor ich in das Land fliege, welches mit über 1,3 Milliarden Einwohnern als größte Demokratie der Welt gilt, möchte ich noch über die letzten Tage in Bosnien-Herzegowina berichten. Letzte Woche Mittwoch reiste ich von Ljubljana über Zagreb nach Banja Luka. Letztere ist eine Stadt im Norden des Landes. Politisch interessant, da sie Regierungssitz der autonomen Republik Srpska ist – zu deutsch: Serbenrepublik. Diese existiert seit dem Bosnienkrieg (1992-1995). Sie hat ein eigenes politisches System und ist heute mehrheitlich von bosnischen Serben bewohnt. 

Banja Luka wählte ich lediglich als Zwischenstopp für zwei Nächte, denn eine Busfahrt von Ljubljana bis Sarajevo hätte zirka 12 Stunden gedauert. In Erinnerung an die fast 27-stündige Busfahrt vor wenigen Wochen von Plav (Montenegro) nach Pag (Kroatien) wollte ich dieses Tortur auf jeden Fall vermeiden. 

Verwöhnt von der slowenischen Hauptstadt, hatte mich die Stadt Banja Luka nicht in ihren Bann gezogen. Obwohl sie eine offene Stadt mit Parks, breiten Boulevards und stattlicher Architektur darstellt. Besonders am Abend schien sie zu erwachen. Dann tummelten sich tausende Menschen in der Innenstadt, ganz besonders junge Leute. Doch für mich versprühte sie trotzdem nicht den Charme, welchen man ihr nachsagte. So begnügte ich mich mit dem ganz normalen Sightseeing, erkundete die Stadt zu Fuß und allein. Dabei begegnete mir die Ferhat-Pascha-Moschee, eines der schönsten Wahrzeichen. Ihre Wurzeln reichen bis ins Jahr 1527 zurück, als die Stadt zu einem wichtigen Militärzentrum für die osmanischen Türken wurde. Weiter ging es zur vorrömischen Festung Kastel. Natürlich war es schön, auf den Mauern herumzuspazieren, die Stadt und den Fluss zu beobachten. Doch als steinernes Herz von Banja Luka bekannt und gepriesen, wirkte sie auf mich nicht sonderlich anziehend. Obwohl sie keinen Eintritt kostete und frei zugänglich war, lag doch recht viel Müll herum. Wesentlich imposanter erschien mir dagegen Banja Lukas wichtigster serbisch-orthodoxer Tempel. Die Kathedrale „Christus der Erlöser“ dominiert das Stadtzentrum. Eines haben alle drei Sehenswürdigkeiten gemeinsam: sie wurden während verschiedener Konflikte zerstört und später wieder aufgebaut. 

Am Freitagmorgen ging die Reise für mich weiter. Wenn ich jetzt sage „Gott sei dank“, dann tue ich der Stadt sicherlich Unrecht. Denn Touristen, die an einem aktiveren Zeitvertreib hier interessiert sind, kommen bestimmt auf ihre Kosten – denn die Umgebung von Banja Luka hat mit zahlreichen Wanderwegen und gemütlichen Ausflugszielen noch einiges zu bieten. 

Wie bereits erwähnt, mir diente sie lediglich als Zwischenstopp. 

Eigentliches Ziel war die Hauptstadt Sarajevo. Und was soll ich sagen? Bereits nach der ersten Erkundungstour am Freitagnachmittag hatte mich dieser Ort in seinen Bann gezogen. Ein Hauch von Orient in Europa. Der Baščaršija-Platz, die größte Sehenswürdigkeit im osmanisch geprägten Teil der Altstadt, mit dem Sebilj-Brunnen in der Mitte des Platzes. Von hier aus erkundete ich die vielen kleinen Handwerksläden in den engen Markgassen. Der Basar ist das Herz der Altstadt, hier floriert das Leben. Neben Kaffee-Sets aus Kupfer werden beispielsweise auch Kugelschreiber aus Munitionsresten gefertigt. So beobachtete ich an einer Ecke einen Mann, der auf einem Metall hämmerte. Sein Name war Ahmed. Er ist 42 Jahre alt und mit 9 Jahren fing er an, seinem Vater und Großvater bei deren Arbeit über die Schulter zu schauen. Er ist Kupferschmied in der vierten Generation. Seit 1928 gehört dieses Geschäft seiner Familie. Die Gasse der Kupferschmiede ist die einzige in der Altstadt Sarajevos, die bis in die Gegenwart ihre ursprüngliche Funktion erhalten konnte. Seit 500 Jahren stellen die Handwerksmeister dort Kupfer- und Zinkgefäße her.

Wer sich wie ich für Geschichte interessiert, kann diese in Sarajevo hautnah erleben. In der Vergangenheit stand die Stadt oft im Mittelpunkt dramatischer Ereignisse. Ich erinnere hier an das Attentat, welches den ersten Weltkrieg auslöste, und an die mehr als dreijährige Belagerung in den 90er Jahren während des Bosnienkriegs. Die Narben der Geschichte sind noch zu sehen. Einschusslöcher an Hauswänden, zudem erinnern viele Denkmäler und Museen an dieses dunkle Kapitel. Doch genau an diesem Ort leben heute viele Völker und Religionen in Frieden miteinander. Synagogen, Kirchen und Moscheen stehen oft nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Deshalb, so erzählte man mir, trägt Sarajevo auch den Beinamen „Klein-Jerusalem“. 

Der Baščaršija-Platz in Sarajevos Altstadt.

Am Abend wird dann die andere Seite Sarajevos sichtbar: die junge und dynamische. Dann säumen nämlich tausende Männer und Frauen die Innenstadt, die zweifelsohne über coole Bars, Restaurants und Cafés sowie stylische Hostels verfügt. 

Von dieser Stelle aus hatte der Attentäter den Kronprinzen und dessen Frau ermordet.

Mein Hostel trug den Namen „Franz Ferdinand“ und befand sich direkt im Herzen Sarajevos in einem charmanten Gebäude, das in der österreichisch-ungarischen Zeit erbaut wurde. Der US-Amerikaner Alem, der an der Rezeption arbeitete, erklärte mir, dass junge Architekten und Designer die Räume renovierten und eine Herberge formten, die die Geschichte des Ereignisses erzählt, das den Ersten Weltkrieg initiierte und Sarajevo damit für immer auf der Weltkarte markierte – die Ermordung des österreichisch-ungarischen Erzherzogs und Königlichen Prinzen Franz Ferdinand und seiner Frau Sophie.

Im Hostel lernte ich Andrés aus Chile kennen. 35 Jahre alt, zirka 1,75m groß, von Beruf Lehrer, liebt den Fußball und kündigte seinen Job im Heimatland. Habt ihr an dieser Stelle auch ein „Déjà-vu“? Ich hatte es 😉 Denn Selbiges trifft ja auch auf mich zu. Mit Andrés, der seit ein paar Jahren in Polen lebt, erkundete ich am Samstag die alte Olympia-Bobbahn in Sarajevo. 1984 noch Ort des DDR-Doppelgold-Erfolgs, dann im Bosnienkrieg Artillerieposten serbischer Kämpfer, ist sie heute ein verlassener Ort: heruntergekommen, teilweise zugewuchert und mit Graffiti verziert. 

Lost Place – die alte Bobbahn. 1984 richtete die Stadt die Olympischen Winterspiele aus.

Am Samstagabend machten wir uns mit Julia, sie wohnt in Kempten und reist mit kleinen Unterbrechungen seit acht Monaten (davon sechs in Lateinamerika), auf den Weg zur gelben Bastion, einem der schönsten Aussichtspunkte der Stadt. Dieser ist insbesondere während des Sonnenuntergangs sehr empfehlenswert!

Von der gelben Bastion bietet sich ein überragender Blick auf die Stadt.
Ein wolkenverhangener Sonnenuntergang.

Sonntagmorgen – Zeit für eine kleine sportliche Tradition, die ich in Deutschland nahezu wöchentlich pflegte. Ein Läufchen. Dabei ging es zunächst etwa fünf Kilometer steil bergauf, denn ich wollte mir Sarajevo erneut aus der Vogelperspektive anschauen. Die Anstrengung sollte mit einem herrlichen Ausblick belohnt werden, bevor ich anschließend wieder vorsichtig bergab lief.

Gemeinsam mit Andrés besuchte ich am Mittag das „museum of crimes against humanity and genocide 1992 – 1995“. Das „Museum für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Völkermord“ zeigt Fotos, Videos und Artefakte von den Kriegsverbrechen des Bosnienkrieges in den 1990er Jahren. Fast zwei Stunden verbrachte ich in den Räumen, las die englischen Kommentare zu den ausgestellten Stücken. Dabei lief es mir nicht nur einmal eiskalt über den Rücken oder trieb mir Tränen in die Augen. Die Foltermethoden, das Leben in den Konzentrationslagern, die Massenmorde – beispielsweise in Srebenica, die einzelnen Schicksale und persönlichen Zeugnisse. All das veranschaulicht den Horror und die Brutalität dieser Zeit. Für mich ist es immer wieder unbegreiflich und unvorstellbar, wozu Menschen fähig sind. 

Die Botschaft über dem Eingang des Museums ist deutlich, passend und aktueller denn je.

Auch wenn der Krieg seit mehr als einem Vierteljahrhundert zu Ende ist, sind noch nicht sämtliche Wunden verheilt, erklärt mir Alem, dessen Eltern einst vor dem Krieg flohen, da sein Vater verwundert wurde. Jetzt war ich hier, etwa 30 Jahre später. Auf mich machte Sarajevo einen friedlichen Eindruck. Die Stadt schien ein Ort der Toleranz und ich hatte das Gefühl, dass der Krieg die Seele der Stadt nicht zerstören konnte. 

Von den umliegenden Bergen bietet sich ein herrlicher Blick auf Sarajevo.

Sarajevo ist eine tolle Stadt, die mich mit ihrem Charme begeisterte.

P.S.: Wie immer eine kleine Anmerkung zu den Galerien: Um die Bilder im vollen Format zu sehen, einfach länger draufbleiben oder anklicken – je nach Endgerät 😉

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Thomas und Heike

    Es ist so schön, mit Dir zu reisen und Plätze zu besuchen, die wir noch nicht gesehen haben. Danke für die lebhaften Schilderungen und herzliche Grüße aus dem Süden.

  2. Bruderherz

    Ist das schön Bruderherz. Das ist der Hammer was du erlebst und siehst und wie du es uns nahe bringst mit deinen Worten. Man denkt gar nicht, das es so schön sein kann in solchen Ländern und Städten, die einst Kriegsgebiet waren. Ich bin echt überrascht. Und das du immer wieder Menschen triffst mit denen du sofort einen Draht hast und umherziehst. Wahnsinn. Schön das du nicht so alleine bist bei deiner Weltreise. Da bin ich beruhigt und sehr glücklich, wenn du es auch bist und es dir gut geht. Bis später…

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