Über ein Abenteuer auf Schienen

Züge in Tansania sind genauso selten wie Tuk Tuks in Deutschland. Daher ist es durchaus eine Attraktion, wenn sich eine Lok samt ihrer Wagons durch Tansania schlängelt. Meine Freunde Thomas und Heike wohnen seit zehn Jahren in diesem wunderschönen ostafrikanischen Land, doch mit dem Zug fuhren sie noch nie, auch wenn sie bereits den einen oder anderen Gedanken an dieses Schienenabenteuer verschwendet hatten. Mit meinem Besuch in Tansania bot sich ihnen also eine gute Gelegenheit, zumal ich für solche kleinen Abenteuer natürlich auch immer zu haben bin. Gemeinsam mit Annika, im Rahmen ihres Studiums absolviert sie zwei Auslandssemester an einer hiesigen Universität, planten wir einen Ausflug von Moshi nach Daressalam – mit dem Zug, genauer gesagt mit dem einen Zug, der auf dieser Strecke zweimal die Woche in beide Richtungen verkehrt. Für die Strecke von etwa 560 Kilometern benötigt er lautet Fahrplan 18 Stunden und 47 Minuten. Mit dem Bus, den wir dann ein paar Tage später für die Rückreise nutzten, waren es „lediglich“ zehn Stündchen.

Das Reisen in Tansania verlangt einem durchaus Geduld, Gelassenheit und gute Nerven ab. Das war bereits beim Kaufen der Tickets spürbar. Dafür machte ich mich einige Wochen zuvor auf den Weg zum Bahnhof von Moshi, um mich nach den Formalitäten zu erkundigen. Im dafür vorgesehenen und eigentlich geöffneten Schalter traf ich niemanden an. Ich musste also das Bahnhofsgebäude betreten, um schließlich in der Nähe der Gleise die auf einer Bank schlafenden Verantwortlichen zu finden. Einer von diesen, ein Mann, versuchte mir dann mit schwer verständlichen englischen Wortfetzen meine Fragen zu beantworten. Er erklärte mir, dass es verschiedene Klassen gibt: die 3. Klasse, die 2. Klasse Sitzplatz und die 2. Klasse Liegewagen. Letztere scheint also die 1. Klasse zu sein, die es aber offiziell nicht gibt. Witzigerweise musste ich mich nach dem kurzen Smalltalk noch in ein Büchlein eintragen, das dokumentiert, welche Ausländer das Bahnhofsinnere betraten. Nun gut. Thomas, Heike, Annika und ich entschieden uns für die „Luxusvariante“ – den Liegewagen. Schlappe 39.100 tansanische Schilling. Klingt viel, doch umgerechnet sind das lediglich 14,70 Euro. Der redselige Mensch vom Bahnhofspersonal meinte, ich müsste einen Tag vorher zum Schalter kommen, um die Tickets zu kaufen. Kein Problem, sollte zeitlich möglich sein. Meine tansanischen Freunde Hilary und Ulomi machten mich aber noch auf die Internetseite der „Tanzania Railways Corporation“ aufmerksam. Hier kann man die Tickets online kaufen. Super und echt praktisch, dass es so etwas gibt – dachte ich. Start- und Zielort konnte ich problemlos eingeben. Das System zeigte mir schnell die entsprechende Zugverbindung an. Ja, allerdings auch nur die eine. Man kann also lediglich den nächsten Zug buchen, keinen anderen. Na gut. Ist ja nicht schlimm, zumal ich ja nur den nächsten Zug benötige und keine Angst haben muss, dass jener ausgebucht ist. Wahrscheinlich, so habe ich mir sagen lassen, ist das auch noch nie vorgekommen. Ich tippte jetzt die Anzahl der Personen ein, also vier. Das funktionierte allerdings nicht. Man konnte nämlich nur für maximal drei Personen buchen. Außerdem wollten die noch wissen, wie die Geschlechterverteilung ist. Warum? Genau, es gibt getrennte Abteilungen. Oh mein Gott, wo bin ich denn hier gelandet? Gefühlt im Mittelalter, dachte ich. Da mein Vorhaben, online zu buchen, scheiterte, bat ich einen tansanischen Freund um Hilfe. Er ging er für mich einen Tag vor der Zugfahrt zum Schalter. So hatte es der Mitarbeiter ja vorgeschlagen. Doch aufgrund eines Feiertages war dieser geschlossen. Der zweite Versuch folgte am Abfahrtstag. Mein Kumpel machte sich am frühen Morgen wieder auf den Weg zum Bahnhof. Das Kaufen von vier Tickets für eine Kabine scheiterte bei der Geschlechterfrage. Wir gaben uns nun als Familie aus, auch wenn wir das genetisch gesehen natürlich nicht sind. Als Familie in einer Kabine? Das ist erlaubt – immerhin. Doch man müsse auch die zwei anderen Tickets kaufen, weil es ja theoretisch sechs Schlafplätze in dieser Kabine gibt. Für solch eine Regel hätte ich ja Verständnis gehabt, wenn der Zug tatsächlich ausgebucht wäre. Doch warum solch ich noch zwei zusätzliche Plätze kaufen, wenn es im selben Abteil und im gesamten Zug noch zig freie Plätze gibt? Mein Kumpel kaufte schließlich zwei Tickets für die Männerkabine und zwei weitere für die der Frauen. Er meinte, setzt euch einfach zusammen, würde wohl jeder so machen. 

Okay. Wir machten uns kurz nach 17 Uhr auf den Weg zum Bahnhof, möglicherweise kann man ja eher einsteigen. Fehlanzeige. Der Zug wurde gereinigt und wir mögen doch warten bis der Bahnhofsvorsteher eine Durchsage macht. Diese erfolgte kurze Zeit später mit der Info, dass der Zug aufgrund eines Problems erst 20 Uhr statt 18.30 Uhr abfährt. Auf die Ansage, man könne schon seine Plätze einnehmen, warteten wir vergeblich. So nahmen wir unser Schicksal selbst in die Hand und stiegen ein. Wir entschieden uns, es so zu machen wie mir mein Kumpel geraten hatte. Die erste Ticketkontrolle meisterten wir ohne Schwierigkeiten. Die Zweite, etwa fünf Minuten später, überstanden wir ebenfalls, auch wenn man der Kontrolleurin die vielen Fragezeichen auf der Stirn ansehen konnte. Da ja alle guten Dinge bekanntlich drei sind, gab es zehn Minuten später die dritte Kontrolle. Dieses Mal kamen gleich drei Mitarbeiter. Nach ausführlicher Betrachtung der Tickets, bekamen wir den Hinweis, dass die Frauen hier falsch sitzen würden und falls wir zusammenbleiben möchten, sollten wir doch alle sechs Sitze kaufen. In der Folge stellten wir uns dumm, so als ob wir von alledem nie gewusst hätten. Nach einigem Hin und Her und einer letzten klaren Ansage, dass wir eine Familie seien und keine weiteren Fahrgäste in dieser Kabine wollen, ließ man uns gewähren. 

Die anschließenden Stunden verbrachten wir mir quatschen, essen und schlafen. Schlafen? Naja, außer Thomas konnte keiner so richtig schlafen. Der Zug, auf den alten Schienen fahrend, glich einem Wackeldackel, der, einmal berührt, nicht mehr aufhörte, zu schwanken. Hin und her aber auch hoch und runter, als führten die Schienen über Stock und Stein. Dementsprechend laut war jene Fahrt, die lediglich von einigen geplanten Zwischenstopps an kleineren Bahnhöfen unterbrochen wurde. Nur dann waren auch die extrem laute Musik im Nachbarwagon sowie die Ansagen des Zugpersonals einigermaßen zu hören.

Das Öffnen des Fensters schien stets eine knifflige Entscheidung – zwischen der Notwendigkeit von Sauerstoffzufuhr auf der einen und dem Vermeiden von Staubwolken im Inneren auf der anderen Seite. Nun ja, der Staub suchte sich trotz des meist geschlossenen Fensters sein Weg in die Kabine. An dieser Stelle möchte ich noch zwei weitere Fragen beantworten, die dem einen oder anderen beim Lesen dieses Reiseberichts möglicherweise schon in den Sinn kamen.

Wie ist eigentlich der Handyempfang? Der ist genauso gut wie auf den meisten Reisen mit den Zügen der Deutschen Bahn, also oft einfach gar nicht vorhanden, besonders in abgeschiedenen Regionen. Dann wäre da noch die Frage nach dem Verrichten der Notdurft. Ein Thema worüber kaum einer redet, aber alle tun es. Zumal man sich mit der Frage der Hygiene im Vorfeld einer Reisen ja automatisch beschäftigt. In diesem tansanischen Zug, der bereits sichtbar ein paar Jahre auf dem Buckel hatte, gab es keine Stand- oder Wand-WCs. Es waren sogenannte Hocktoiletten, die augenscheinlich sauber erschienen. Ein besseres Plums-Klo sozusagen. Man muss also hocken, um sich zu erleichtern. Während der Zugreise verzichtete ich auf den Toilettengang, nichts zuletzt weil man von außen in diesen schmalen Raum auch hätte hineinschauen können.

Mit dem Morgengrauen hielt es uns zunächst nicht mehr in den engen Schlafkojen. Jene klappten wir ein, um sitzen zu können. Je nach Wunsch wurden Kaffee oder Tee serviert und das für umgerechnet 20 Cent. Das heiße Getränk genossen wir während der Zug den Saadani-Nationalpark passierte. Jener ist der einzige Park des Landes, der an den Indischen Ozean grenzt. So verfügt das rund 1100 Quadratkilometer große Ökosystem über 15 Kilometer Küstenlinie. Allerdings sind in der Nähe der Gleise aufgrund der Lautstärke kaum Wildtiere zu beobachten. Gemeinsam erblickten wir lediglich ein paar Wasserböcke und Ibisse. Dennoch war dieser Abschnitt der für mich Schönste jener letztlich einmaligen Zugfahrt.

Diese endete 18 Stunden nach dem Einsteigen, wobei die Fahrzeit 16 Stunden und 33 Minuten betrug.

Ein letztes Selfie: glücklich aber sichtbar müde, kamen wir in Daressalam an.

In Daressalam besichtigten wir am späten Nachmittag noch das Nationalmuseum, welches 1934 gegründet wurde. Das Museum bietet eine Vielzahl von Exponaten, die ein Bild der Vergangenheit und Gegenwart des Landes zeichnen. Zu den Wertvollsten gehören die Knochen des Paranthropus boisei (eine ausgestorbene Primatengattung) – Überreste einer längst vergangenen Epoche. Darüber hinaus umfasst die Sammlung des Museums eine Vielzahl historischer Artefakte aus der deutschen und britischen Kolonialzeit. Obwohl ich Museen gern besuche und bereit bin viel Zeit dort zu verbringen, erging es mir dieses Mal anders. Von den Socken haute mich das Museum mit seinen Exponaten ehrlich gesagt nicht. Aber möglicherweise lag das an der einsetzenden Müdigkeit aufgrund der vorangegangenen weitestgehend schlaflosen Nacht. Am nächsten Morgen traten wir die Heimreise an. Wie bereits erwähnt, erfolgte jene „entspannt“ mit dem Bus. 

Fazit: im Großen und Ganzen hatte diese Zugfahrt etwas Nostalgisches und natürlich Abenteuerliches. Empfehlen würde ich sie aber nur im äußersten Notfall, zumal Busfahrten in Tansania deutlich entspannter sind und weniger Zeit in Anspruch nehmen. Zumindest auf der Strecke Moshi – Daressalam und mit dem sogenannten „Luxury Bus“ für etwa 16,50 Euro. 

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