Der Schulbesuch in Tansania ist zwar kostenfrei, allerdings können sich viele Eltern die Schulmaterialien und vorgeschriebenen Schuluniformen nicht leisten. Deshalb bleiben manche Kinder der Schule fern. Den Schulen selbst mangelt es nicht nur an gut ausgebildeten Lehrkräften, sondern oft an materiellen Dingen. Das gehört auch in der Materuni-Grundschule zum Schulalltag. Die Einrichtung befindet sich in Materuni, einem kleinen Dorf in der Nähe von Moshi am Fuße des Kilimandscharo.
Die Fahrt hinauf zur Schule ist etwas abenteuerlich, zumal sie auf etwa 1800 Metern liegt und die Straße weder geteert noch ordentlich zu befahren ist. Sie gleicht einem holprigen Feldweg, der sich an den Hängen des Kilimandscharo-Nationalparks hinaufschlängelt. Ich sitze im Landcruiser meines Freundes Muksin, der diese Schule bereits seit einigen Jahren mit sehr bescheidenen Mitteln unterstützt. Es ist ein sonniger Tag und der letzte Regen liegt ein paar Tage zurück. Gott sei dank. Der kurvenreiche Weg ist weitestgehend trocken, was uns hilft, die Schule mit dem Fahrzeug zu erreichen. Auch die rutschigen Stellen meistert Muksin mit Hilfe des Landcruisers, der, oben angekommen, sichtlich und hörbar nach „Luft ringt“. Ohne diesen Geländewagen hätten wir den Weg nicht gemeistert. Muksin erklärt mir, dass es selbst mit einem Landcruiser in der Regenzeit und an anderen Regentagen unmöglich und viel zu gefährlich ist, die Schule zu besuchen. Dann bleibt nur eine Möglichkeit: laufen. Genau so kommen jeden Tag um 8 Uhr am Morgen 54 Jungen und Mädchen zur Schule und verlassen jene zwischen 15 und 16 Uhr am Nachmittag. Derzeit werden sie von sieben Lehrern, darunter eine Lehrerin, unterrichtet. Erick Massawe ist einer von ihnen. Er begrüßt mich und begleitet mich anschließend auf meiner Tour über das Gelände und die Klassenräume. Der 35-Jährige erklärt mir, dass theoretisch sieben Lehrer fehlen. Lehrermangel? Das Problem kommt mir, dem ehemaligen Lehrer, bekannt vor. Doch die Bedingungen, die ich hier in Materuni vorfinde, stehen natürlich im krassen Gegensatz zu den Schulen in Deutschland.
Muksin erzählt mir, dass sich die Schule bei seinem ersten Besuch im Jahr 2018 in einem desolaten Zustand befand. Sie wurde vom Dorf und der Regierung jahrelang vernachlässigt. Es schien als habe man die hoch oben in den Bergen gelegene Schule vergessen. Es gab drei Klassenräume, die neben einem staubigen Lehmboden auch keine Fenster hatten. Es gab wenig Mobiliar und kaum Schulmaterialien. Das Essen wurde über offenem Feuer im Klassenzimmer gekocht. Strom gab es auch keinen. Von einer gemütlichen Lernatmosphäre ganz zu schweigen.
In den vergangenen Jahren konnten Muskin und seine Frau Catherine bereits einiges bewegen. So versorgten sie beispielsweise die Schüler und Lehrer mit Lehrmaterialien, renovierten Klassenzimmer, kauften Nahrungsmittel für die Essensversorgung oder statteten das Schulfussballteam mit Trikots aus. Bald wird es auch Strom geben. Heute werden die Schüler in sieben Klassenräumen unterrichtet. Die Anzahl der Schüler/innen pro Klasse ist überschaubar, was nahezu einmalig im tansanischen Bildungswesen ist. Normalerweise ist es keine Seltenheit, dass eine Lehrkraft 30 bis 50 Schüler/innen auf einmal unterrichten muss. Unterrichtet werden in der Grundschule: Suaheli, Englisch, Mathe, Geographie, Kunst, social studies (Sozialkunde) und Outdoor activities (Sport). Aufgrund der fehlenden Lehrkräfte lehren Erick und seine Kollegen jeweils 35 Stunden pro Woche und auch alle Fächer.
Die Tafeln, Tische und Stühle sind trotz der Bemühungen meiner Freunde Muksin und Catherine noch immer in einem mäßigen Zustand. Zudem kann ein Gebäude seit Jahren nicht genutzt werden, da Wände einstürzten, Fensterglas und ein ordentlicher Betonboden fehlen.
Fehlen tut der Grundschule auch ein eigener Sportplatz. Um diverse Sportarten trainieren oder einen Wettkampf gegen die benachbarte Schule durchführen zu können, müssen Schüler und Lehrer sieben Kilometer zum nächstgelegenen Sportplatz laufen.
Auch die Toiletten der 1954 erbauten Schule sind einem katastrophalen Zustand. Es sind sogenannte Plumpsklos, sprich es gibt keine Toilette zum Hinsetzen. Waschbecken gibt es nicht, lediglich, vor dem stark riechendem Gebäude, ein Rohr aus dessen Hahn fließend Wasser kommt. Es fehlt an medizinischer Erster-Hilfe, Computern und einem Warenlager für Lebensmittel. Letztere stehen zurzeit in einem Klassenraum. Gekocht wird in einer kleinen Steinhüte über offenem Feuer.
Eine Frau aus dem Dorf bereitet hier täglich das Mittagessen zu. Meistens gibt es kostengünstiges Ugali mit Bohnen oder Gemüse. Ugali ist ein Brei aus Maismehl (Polenta-artig), der in ganz Afrika verbreitet ist. Für das Mittagessen müssen die Schüler*innen jedes Jahr etwa 46.000 tansanische Schilling (umgerechnet 17 Euro) bezahlen. Was für mich günstig klingt, ist für manche Familien teuer und kaum bezahlbar. Selbiges gilt für die Schuluniform. Das Tragen dieser ist in Tansania Pflicht. Eine solche kann mit allem drum und dran (Schuhe, Hose oder Rock, T-Shirt und Pullover) schon mal 70.000 Schilling (etwa 26 Euro) kosten. Erick sagt, dass besonders die ärmeren Familien sich aber keine neuen Uniformen leisten können – ihre Kinder gehen dann in zerschlissener Kleidung zur Schule, falls sie aufgrund von Scham überhaupt kommen. Während meines Rundgangs in der Schule und nach einigen Gesprächen mit neugierigen aber sehr freundlichen Schülern, die jeden Morgen zuerst beim Saubermachen der Schule und des Geländes helfen müssen, habe ich das Gefühl, dass die Schuluniform der Stolz vieler Kinder ist. Überhaupt spüre ich eine unglaubliche Freude und Begeisterung, die die Jungen und Mädchen beim Lernen an den Tag legen. Ich frage sie nach ihren Berufswünschen und bekomme oft Lehrer, Pilot, Arzt, Ordensschwester und Fußballspieler zu hören. Ich freue mich, dass die Kids, die oft in sehr einfachen und auch ärmlichen Verhältnissen leben, Träume haben und diese offen äußern. Laut Erick wissen sie dabei schon ziemlich genau, dass Bildung der einzige Weg ist, jene Träume zu erreichen und der Armut zu entkommen.
Die Bedingungen weiter zu verbessern, ist für meine Freunde Muksin und Catherine nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch Motivation. Dabei werde ich ihnen mit Hilfe meines neugegründeten Vereins „Karibuni Watu“ helfen. So wollen wir nach und nach die Lehr- und Lernbedingungen verbessern, damit Wissen fundiert und nachhaltig vermittelt werden kann und die Kindern eine gute Perspektive haben, die zweifelsohne auf einer hochwertigen Bildung beruht.
Die Kids sind neugierig, gut gelaunt und hießen mich herzlich willkommen.