Es war Dienstag, der 13. Dezember. Ortszeit 17:56 Uhr. Ich befand mich in Ubud, einer Kleinstadt auf der indonesischen Insel Bali. Ich saß, einen Bericht schreibend, im halboffenen und überdachten Außenbereich meiner Unterkunft. Plötzlich vibrierte der Boden unter meinen Füßen. Im ersten Moment dachte ich, jemand würde über den Fußboden trampeln. Ich schaute auf und sah die Wände sowie die Säulen des Gebäudes wackeln. Noch bevor ich wusste, was hier wirklich geschah, war der Spuk auch wieder vorbei. Zwei andere Hotelgäste kamen aus ihren Zimmern gelaufen und schauten mich mit großen Augen an. „Hast du das auch gespürt? War das ein Erdbeben?“ Ich bejahte die erste Frage und stimmte der Zweiten zu, ohne zu wissen, ob sich ein Erdbeben tatsächlich so anfühlt.
Ich setzte mich wieder an den Tisch und suchte im Internet nach Hinweisen auf ein Erdbeben in Bali. Schnell wurde ich fündig. Der erste Eintrag zeigte mir, dass man ein solches vor wenigen Minuten registrierte. Man konnte mit einem Klick sogar die Frage beantworten, ob man jenes Naturereignis spürte. Ebenso wurde man gebeten, auszuwählen und zu beschreiben, was genau man wahrnahm. Das tat ich. Dieses Beben wurde später mit einer Stärke von 4,9 auf der Richterskala angegeben und als leichtes Beben eingeordnet.
Doch damit nicht genug. 18:38 Uhr. Erneut vibrierte der Boden. Dieses Mal spürbar stärker und länger. Ich rannte aus jenem schon erwähnten überdachten Gebäude. Die Säulen schwankten. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, dass Kreislaufprobleme mein Sehvermögen beeinträchtigen und ich deshalb die Säulen und Wände kurzzeitig verschwommen sah. Dieses Beben hatte eine Stärke von 5,2 und wurde als mittelstark klassifiziert. Ich muss gestehen, dass mir anschließend etwas anders zumute war. Bisher reiste ich stets mit einem guten Gefühl der Sicherheit, zumal ich sowieso kein Mensch bin, der sich zu viele Gedanken macht über Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Ich neige auch nicht dazu, mir den Kopf zu zerbrechen über Sachen, die weder wahrscheinlich sind noch in meiner Macht liegen oder die für mich selbst eigentlich gar keine Rolle spielen.
Doch diese Erdbebenserie, es gab in dieser Zeit noch weitere kleine Erschütterungen, machte mir bewusst, dass ich mich einer Region aufhielt, in welcher ich mit Naturkatastrophen dieser Art rechnen musste.
Desgleichen sollte man bedenken, dass Indonesien die Heimat vieler aktiver Vulkane ist. Sie sind vor vielen Millionen Jahren entstanden und teilweise bis heute aktiv. Diese Vulkanlandschaften sind sowohl bei Einheimischen als auch bei Touristen beliebt und folglich gern besuchte Ziele für Wanderungen, Sonnenaufgänge und spirituelle Zeremonien. Ich bildete da keine Ausnahme. Schon bevor ich nach Bali reiste, hatte ich mir das Ziel gesetzt, den höchsten Berg der Insel, den Gunung (Berg) Agung, zu erklimmen. Übersetzt bedeutet der Name des aktiven Schichtvulkans „großer/großartiger Berg“. Er hat für die Balinesen eine wichtige spirituelle Bedeutung. So wird er als das Zentrum der Welt angesehen und gilt als Wohnort bestimmter Götter. Abgesehen von seinem religiösen Stellenwert ist auch der bloße Anblick des 3142 Meter hohen Vulkans beeindruckend.
Selbiges gilt für den Mount Batur, einem 1717 Meter großen Vulkan. Die kleinere Ausgabe ist ein wahrer Touristenmagnet und so stehen hunderte Menschen zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel.
Da die Besteigung des Agungs mehr Zeit in Anspruch nimmt und sich wesentlich schwieriger gestaltet, ist die Zahl der Bergsteiger hier relativ überschaubar. Auch ein Grund, warum ich mich entschied, diesen 3000er zu besteigen. Mit von der Partie waren meine Freunde Nils und Stefan. Für beide war es ihre bisher größte Herausforderung im Bergsteigen. Tatsächlich sollte sich der Auf- und Abstieg als nicht so einfach erweisen.
Für dieses Abenteuer wurden wir Mitternacht vom Hotel abgeholt und fuhren in den Nordwesten Balis. Startpunkt für unsere Wanderung war der Pasar Agung Tempel, hier besteigt man den Berg vom Süden her. Es gibt auch eine nördlich gelegene Route, sie ist länger und gilt als die Herausforderndste und endet am höchsten Punkt. Leider wurde mir im Vorfeld nicht mitgeteilt, dass es zwei Routen gibt. Ferner hatte ich bei meiner vorherigen Internetrecherche nichts dergleichen gelesen. Obwohl es mich zunächst ärgerte, dass ich nicht auf dem höchsten Gipfel dieses Vulkans stand, war es später nicht mehr von großer Bedeutung. Denn die Aussicht 100 Meter unterhalb des eigentlichen Gipfels war immer noch außergewöhnlich und definitiv ein Höhepunkt meiner Weltreise. Aber nun von vorn.
Wir starteten unsere Wanderung um 01:40 Uhr, nachdem wir uns zuvor in ein offizielles Gästebuch eintragen mussten. Diesem konnte ich entnehmen, dass in den letzten Tagen teils keine und teils nur wenige Touris den Berg von dieser Seite bestiegen. Der Guide erzählte uns schließlich, dass aufgrund der starken Regenschauer der letzten Tage kaum einer den Gipfel bestieg. Viele von denen, die es doch wagten, mussten aufgrund der schlechten Wetterlage umkehren oder sahen, oben angekommen, nichts außer Nebel und Wolken.
Unser Weg führte uns zunächst durch dichten Dschungel. Später waren es Steine und Felsvorsprünge, die wir zu überwinden hatten. Bei extremer Dunkelheit, starkem Wind beziehungsweise heftigen Böen und rutschigem Untergrund war der Aufstieg (fast 2000 Höhenmeter) kein einfaches Unterfangen.
Es ist auch nicht so, dass man sich auf schönen und langsam empor schlängelnden Wanderwegen zum Gipfel hocharbeitet. Nein, bei weitem nicht. Um den Aufstieg in dieser knappen Zeit (drei bis vier Stunden) zu schaffen, führt die Tour senkrecht den Berg hinauf. Gemütliches Wandern ist definitiv etwas anderes. Zudem reduzierte der aufziehende Nebel jegliche Form von Orientierung auf ein Minimum. Zwischendurch nahmen die Guides sogar ihr Handy zur Hilfe, um zu schauen, ob wir noch auf dem rechten Weg wandelten. Zusätzlich sorgte der Wind für ein bei Bergsteigern bekanntes Phänomen: die Lufttemperatur fühlt sich viel kälter an als bei Windstille. Ferner war es teilweise so steil, dass man ohne den Einsatz der Hände nicht mehr vorangekommen wäre. Nils und Stefan hatten es hier tatsächlich etwas schwerer, denn ihre einfachen Turnschuhe erwiesen sich nicht unbedingt als große Hilfe. Bei den zwischenzeitlichen Trinkpausen machten sich bei mir schon erste Gedanken an den nicht nur vermeintlich schwierigen Abstieg breit, zumal ich aufgrund des Nebels und der später unter uns liegenden dichten Wolkendecke die Höhe und Hangneigung nicht richtig einschätzen konnte.
Es war etwa 5:30 Uhr als wir den (unteren) Gipfel erreichten. Noch war es dunkel und so verweilten wir einige Minuten, vom starken Wind befeuert, sitzend am Kraterrand. Als die Sonne aufging, offenbarte sich allmählich die Schönheit dieser Landschaft. Tatsächlich schaffte es die Sonne, sich zumindest ein wenig durch die Wolkendecke zu kämpfen und den Horizont in ein gelbes Licht zu tauchen.
Fast noch eindrucksvoller war für mich der Blick in den Krater. Von dort zogen kleine Rauchwolken auf und es roch leicht nach Schwefel. Zuletzt ausgebrochen war der Agung im Mai 2019. Auch wenn es keine Lavafontänen zu sehen gab, wie auf anderen aktiven Vulkanen, beschlich mich ein seltsames Gefühl. Jenes war geprägt von einer gewissen Ehrfurcht und einer tiefen Dankbarkeit diesen Moment zu erleben.
Mit jenem Gefühl nahm ich zirka 6:15 Uhr den Abstieg in Angriff. Dieser sollte, mit den bereits erwähnten Bedingungen am Berg, eine anspruchsvolle Herausforderung darstellen. Natürlich war der Einsatz von meinen Händen abermals notwendig, um sicher die kritischen Stellen zu passieren. Wie riskant solche Abstiege sein können, beweist das Beispiel eines US-Amerikaners. Der 51-Jährige war Mitte November 2022 am Agung auf einer Höhe von 2600 Metern ausgerutscht und fiel eine 25 Meter tiefe Schlucht hinunter. Er starb einige Stunden später während der Rettungsaktion an den Folgen seiner Verletzungen.
Diesen tragischen Vorfall im Hinterkopf galt es, dem Abstieg die volle Konzentration zu widmen, zumal die Windböen, besonders im oberen Bereich des Berges, dafür sorgten, dass man hin und wieder plötzlich ins Wanken geriet. Gerade an den Stellen, die besonders steil waren und zudem mit losem Geröll und Steinen versehen waren, bedachte ich jeden noch so kleinen Schritt.
Mehr als einmal dachte ich mir: wenn ich hier ausrutsche, dann wird es schmerzhaft. Nun gut, das ist das (relativ überschaubare) Risiko, welches man beim Bergsteigen in Kauf nehmen muss. Ebenso, dass die Füße und Knie schmerzen. In meinem Fall beim Abstieg, besonders das 2017 operierte linke Knie.
Die Uhr zeigte 9:45 als wir etwas erschöpft aber mit einem tollen Gipfelerlebnis im Gepäck am Ausgangspunkt, dem Pasar Agung Tempel, ankamen. Für mich sind genau jene herausfordernde Bergtouren etwas Besonderes. Denn sie beinhalten nicht nur außergewöhnlich schöne Momente, sondern auch Situationen extremer Anstrengung. Genau hier lerne ich mich und meine Grenzen erfahrungsgemäß am Besten kennen. Fazit: die Wanderung auf den Agung – eine freudvolle Qual.
Eine kleine Zusammenfassung unseres Abenteuers (komprimierte Qualität).