Interessante Begegnungen – davon hatte ich gar viele während meiner Weltreise. Von einer ganz besonderen habe ich allerdings noch nicht erzählt. Das möchte ich heute nachholen.
Es war an einem dieser Tage, als ich wieder einmal zu Fuß durch Moshi, eine Stadt am Fuße des Kilimandscharo, lief. Auf dem Weg zu meiner Unterkunft sah ich vor mir einen großen schlanken Mann laufen. Dieser hatte ein schwarz-rotes und sehr spezielles Gewand an. Menschen mit dieser Kleidung hatte ich schon oft in Tansania gesehen. Es sind die sogenannten Massai, ein Hirtenvolk, das für seine unverwechselbare Kleidung, seinen extravaganten Schmuck, seine Tänze und seine spezielle Lebensweise bekannt ist. Ich hatte bereits 2014, als ich zum ersten Mal in Tansania war, einen Massai getroffen. Kisioki – er arbeitete als Nachtwächter in meiner Unterkunft und war der Angestellte meiner deutschen Freunde Thomas und Heike, die seit mittlerweile zehn Jahren in Tansania leben. Damals fuhren wir gemeinsam mit Kisioki in dessen Boma, so der Name für ein Maasai-Gehöft. Dabei lernte ich seine Familie kennen und erhielt einen kleinen Einblick in die Lebensweise dieses faszinierenden Nomadenvolkes, das unter anderem in der Steppe Südkenias und Nordtansanias lebt.
Dieses Mal traf ich Laizer – 1,90 Meter groß und 35 Jahre alt. Ursprünglich kommt er aus der Manyara-Region und wurde in Simanjiro geboren. Verheiratet ist er mit Rachel, aus Liebe zueinander. Das, so sagt er, sei in seinem Volk nicht selbstverständlich. Noch immer ist die Zwangsheirat weit verbreitet und er fügte hinzu, dass sein Großvater 19 Frauen hatte. Das ist möglich, andersherum geht das nicht – Frauen dürfen nicht mehrere Männer haben. Zudem ist der Geschlechtsverkehr erst nach der Hochzeit gestattet. Laizer und Rachel haben zwei Söhne. Sie heißen Robson (4) und Ben (2). Diese beiden süßen Kids durfte ich kennenlernen, als mich Laizer zu sich nach Hause einlud. Seine Boma befand sich in der Nähe des Kilimanjaro Airports. An der Flughafenkreuzung hielt der Bus, den wir für den ersten Teil der Strecke nutzten. Anschließend liefen wir mehr als 30 Minuten über die Grassteppe, bis wir sein Dorf erreichten. Hier wurde ich aufs Herzlichste begrüßt, natürlich auch „bestaunt“, zumal ein Weißer immer noch eine Seltenheit in normalen Massai-Dörfern darstellt. Für Laizers Kinder hatte ich zuvor noch ein paar Muffins und eine Tüte Popcorn gekauft, wollte ich doch nicht ohne ein Mitbringsel dastehen. Mein Besuch zog ziemlich schnell die Aufmerksamkeit nahezu aller Kinder des Dorfes auf sich. Aus allen Ecken eilten die Jungen und Mädchen herbei, um diesen „Muzungu“ – so die liebgemeinte Bezeichnung eines Weißen – zu sehen. Zur Begrüßung hielten mir die Kids ihren Kopf entgegen, leicht nach vorn gebeugt. „Berühre hin“, sagte Laizer und erklärte mir anschließend, dass es sich dabei um eine für die Massai ganz normale Begrüßungsgeste handelte.
Natürlich teilten wir meine Mitbringsel unter den Kindern auf, jeder bekam eine kleine Handvoll. Selbst wenn ein Krümelchen auf den staubigen Boden fiel, wurde es aufgehoben und verspeist. „Asante sana“, zu deutsch Dankeschön, bekam ich zu hören. Anschließend brachte Robson einen Ball – Marke Eigenbau – herbei. Er bestand aus Stofffetzen, die zu einem Knäuel zusammengebunden waren. Die Einladung, mit ihm und seinen Freunden Fussball zu spielen, konnte ich natürlich nicht ablehnen. Welch Freude dieses Spiel auslösen kann… ich hatte es fast vergessen. Zwar war ich nicht im Nirgendwo aber dennoch in einem abgelegenem kleinen Massai-Dorf und spielte mit völlig fremden Kindern den Sport, den ich seit Kindesbeinen an ausübte. Dabei verspürte ich eine Freude, die mir so ursprünglich erschien und die ich bis dato eher selten erlebte.
Mit den Kids spielte ich schließlich eine kleine Runde Fussball.
Laizer stellte mir neben seiner Mutter auch seine Frau Rachel vor. Die Heirat war teuer, sagte er. Sieben Kühe hatte er Rachel’s Familie gegeben. Eine Kuh bezifferte er mit zirka 100 US-Dollar.
Seine Hochzeit war ein großes Fest mit einzigartigen Outfits, vielen Liedern und reichlich gutem Essen – drei Kühe wurden geschlachtet. Apropos Viehzucht. Rinder sind die Lebensgrundlage der Massai. Je mehr man besitzt, als desto reicher gilt man. Doch geschlachtet werden Rinder nur zu besonderen Anlässen, beispielsweise einer Heirat. Um den Fleischbedarf zu decken, werden auch noch Schafe und Ziegen gehalten. Zu essen gibt es meist Ugali, ein Maisbrei, der – wie der Name schon verrät – aus Mais gemacht wird. Neben dem Fleisch ernähren sich die Massai auch von der Milch und dem Blut ihrer Tiere. Sie sind weit über die Grenzen Afrikas hinaus für ihre Kultur und als Krieger der Savanne bekannt. Laizer erzählte mir von genau dieser Zeit als Krieger.
So werden bei den Massai Schuhe repariert 😉
Er war 18 Jahre alt, als er durch Beschneidung zum Krieger und damit zum Mann wurde. Zunächst gab es ein Training mit den Älteren in der Steppe. Hier lernte er, den Speer zu werfen und welche Pflanzen essbar sind. Anschließend zog er mit weiteren Kriegern und einigen Tieren in die Steppe. Während man früher sein Gebiet gegen eindringende andere Stämme verteidigte oder auszog, um deren Rinder und Frauen zu rauben, ist das heute anders. Die wichtigste Aufgabe der Krieger ist es, die Boma und das Vieh auf der Weide vor wilden Tieren zu schützen.
Trotz der großen Freiheit, die man verspürt, war diese Zeit (etwa 18 Monate) für Laizer nicht immer einfach. Er erwähnte lange und schlaflose Nächte und Herausforderungen, die das Leben in der Steppe mit sich brachte. Manchmal dauerte es viele Tage bevor er für seine Tiere eine Wasserstelle fand, geschweige denn Wasser, mit dem er sich mal waschen konnte. Als Toilette stand lediglich die weite Steppe zur Verfügung. Um den Durst zu stillen, trank er die Milch der Tiere, einen Esel nutzte er zum Transport seiner wenigen Sachen. Ein Feuer und eine als Kreis angelegte Dornenhecke diente ihm bei Dunkelheit zum Schutz vor den Löwen. Er berichtete von einem Regentag, als das Feuer ausging und er in jener Nacht Besuch von vier hungrigen Löwen bekam. Sie töteten vier seiner Kühe. Ernähren tat er sich im Busch von allem, was die Natur hergab und von eigenen Tieren. Hin und wieder schlachtete er eins und legte sich einen kleinen Fleischvorrat an. Während er nachts kaum Zeit zum Schlafen fand, musste er tagsüber die Tiere weiden und Holz sammeln. Gelegentlich traf er sich auch mit anderen Massai, um sich zu unterhalten.
Laizer bejahte meine Frage, ob Umwelteinflüsse diese traditionelle Lebensweise einschränken beziehungsweise erschweren. Er meinte, dass der Klimawandel die Trockenperioden zwischen den Regenzeiten immer größer werden lässt. Natürlich gibt es auch noch andere Gründe, warum sich der Lebensraum des Nomadenvolkes verringert und sich ihr Leben verändert. Der Fortschritt, beispielsweise die sich ständig entwickelnde Technik, macht kein Halt vor dem traditionellen Leben der Massai, erklärte Laizer. Normalerweise leben sie in den typisch fensterlosen Häusern, die meist aus Holzgerüsten errichtet und mit Kudung zu Wänden verstärkt werden. Diese konnte ich in Laizers Dorf auch entdecken. Desgleichen ein großes aus Stein gebautes Haus. Strom ebenso. Als Wächter an der internationalen Schule in Moshi hat der 35-jährige Massai ein regelmäßiges Einkommen, welches ihm selbstverständlich dabei hilft, seine Familie zu ernähren. Er lebt, wie die meisten, in großen Familienverbänden in der bereits erwähnten Boma. Die Hütten seiner Boma sind als Kreis errichtet, in dessen Mitte sich einer großer Platz für die Tiere befindet. Dieser ist durch eine hohe Dornenhecke zum Schutz vor wilden Tieren umschlossen. Gekocht wird bei den Massai noch auf offenem Feuer und geschlafen auf Kuhhäuten. Ich war neugierig und stellte ihm an diesem Tag noch viele weitere Fragen. Er sagte, dass das Zusammenleben durch eine klare Verteilung der Aufgaben zwischen Mann und Frau geregelt sei. Älteren Männern obliegen die Führungspositionen, sie sind die Oberhäupter. Um das Hüten der Tiere, den Bau der Umzäunungen, die Suche von Wasserstellen kümmern sich die erwachsenen Männer. Frauen dagegen sorgen sich beispielsweise um die Kinder, holen Wasser, waschen und kochen. Diese traditionelle Lebensweise wirkt auf mich, einem Europäer, etwas rückschrittlich. Aber all das gehört zur Kultur der Massai, die auch wissen, daß ihre traditionelle Lebensweise in einem für Afrika modernen Staat wie Tansania ohne Anpassung an die neue Zeit nicht überleben kann. Für mich ergab sich durch Laizer die Möglichkeit, einen kleinen Einblick in die interessante Welt des freundlichen Nomadenvolkes zu gewinnen.